Montag 7.58 Uhr, die Sonne lacht. Habe mich mit ca. 50 anderen Konsumenten vor der Aldi Süd Filiale in Pasing eingefunden. Die entschlossenen Blicke der adrenalinschwangeren Menschenmasse sind starr auf diese geschlossene Glastür fixiert. Das Ausmaß der Menschenschlange erinnert unweigerlich an den Verkauf bananenförmiger gelber Südfrüchte in der DDR. Doch heut ist nicht Obst das Ziel der Begierde, sondern 100 Euro-Fernsehgeräte, quasi die Bananen des Westens.
Da ich den Kopf der Schlange bilde, bekomme ich beim unauffälligen blinzeln nach hinten ein mulmiges Gefühl. Der schmierige Duft des Konsumismus liegt in der Luft. Beim Gedanken von den 3,5 Tonnen Beschaffungswilligen hinter mir überrollt zu werden, sobald die Tür Andeutungen macht die Jagd zu eröffnen, bekomme ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Allerdings könnte es auch an dem halben Liter Kaffee auf leeren Magen in Verbindung mit dem Volldepp hinter mir liegen, der seinen Einkaufswagen immer tiefer in mein Kreuz bohrt. Der steigende Druck zwischen Tür und Drahtkorb regte den anverdauten Mageninhalt zur Wanderung gen Ausgang an, allerdings hoch zum falschen. Doch gerade als ich das babyblaue Hemd meines Hintermanns angepeilt habe, um ihm einen brühwarmen Lebensmittelhusten als Resultat seines Drückens zu servieren, öffnet sich die heilige ALDI - Filialpforte.

Sofort wird die Schlangenformation aufgelöst und es kommt zu regelwidriger Rudelbildung am Haupteingang. Wie überhaupt das Vorhandseine irgendwelcher Regeln nicht zu erkennen ist. Vielmehr scheinen die Menschenrechtskonventionen in diesem Gemäuer temporär nur noch recht abgeschwächt zu gelten. Mein ehemaliger Hintermann gewinnt durch einen gezielten Stoß mit seinem Wagen unerwartet mehrere Meter Vorsprung, denn ich kann eine Kollision mit der Bananentheke nur durch meisterlich akrobatische Körperverwringungen verhindern. Verdammt - 16 Jahre nach dem Maurerfall sind wir Ossis mit Bananen nicht mehr zufrieden zu stellen! Das sollte sich doch langsam rumgesprochen haben!!
Benommen, aber glücklich das Bananentrauma abgewendet zu haben, bemerke ich weitere Kaufkraft an mir vorbei ziehen. So langsam erwachen auch meine ureigensten Jagdinstinkte und ich peile eine getarntes Vorkommen von drei Exponaten im Bereich der Hygienartikel an. Das die Ressourcen völlig unentdeckt blieben überrascht mich nicht wirklich, denn die Luftzusammensetzung in der Warteschlange vor der Tür ließ schon ahnen, dass viele der Wartenden diesen Teil der Supermarkts konsequent meiden. Frei nach dem Motto " Duschen - ja, aber höchstens einmal im Monat", kommt man ja auch gut mit den Nivea Probepäckchen aus der Super-Illu beim Hausarzt über die Runden.

Im Schweiße ihres Angesichts schleppen die ersten glücklichen Jäger ihre Beute bereits zur Kasse, während im hinteren Ladenbereich nun lauthals ein Streit über das letzte silberfarbende Fernsehgerät ausgebrochen ist. Eine graumelierte Sozialpädagogin belehrt einen jungen Mann wie moralisch verwerflich es doch in diesen Zeiten des Mangels sei, gleich zwei Apparate in Silber zu nehmen, wo doch das schwarze Modell überhaupt nicht zu ihrem Benno passe. Nachdem Benno als IKEA TV-Mobiliar identifiziert ist, der junge Mann sich als geschäftstüchtiger ebay Zwischenhändler outet und anbietet eines seiner silbernen Modelle für 150 Euro abzutreten, droht die Situation endgültig zu eskalieren.

Doch gerade als sich die wutentbrannte Lehrkörper(in) mit einer grünlichen Kürbispflanze bewaffnet, bemerke ich, dass ein Weltkriegsveteran dank zweier neuer Hüftgelenke ziemlich zügig auf den bisher unentdeckten Restbestand zuhält. Jetzt heißt es schnell handeln! Mich breit zu machen um damit den Weg abzuschneiden sollte mir nicht schwer fallen denke ich noch so bei mir, als sich plötzlich ein Einkaufswagen panzergleich samt führendem Greis an mir vorbei schiebt. Das Ravioli-Regal muss kurz zur Seite ausgewichen sein - anders ist dieser Überholvorgang nicht zu erklären.

Ich überlege noch ob ich den vorbeirauschenden Kommandeur a.D. mit einem kräftigen "Die Renten sind sischer" verwirre und von seinem Kurs abbringe, lasse dies dann aber doch, denn er hat es nur auf die letzte Stiege Klosterfrau Melissengeist abgesehen. Erleichtert packe ich mir also den wirklich letzten Fernsehapparat in silber und bringe ihn vor der jetz aufgeschreckten Meute in Sicherheit. Ingesamt ein sehr unterhaltsamer Start in die Woche und ich hatte schon befürchtet nach der Wahl am letzten Wochenende gäbe es erst einmal nichts mehr zu lachen...

Foto : Daniel Rohde